Das Gespenst des Einfamilienhauses

Dass diese Bauweise nicht für Städte mit knappem Wohnraum geeignet ist, ist offensichtlich.


Ein Gespenst geht um in Deutschland – das Gespenst des Einfamilienhauses. Das Einfamilienhaus ist ein Symbol auf das sich Liberale, Konservative und sogar einige Sozialdemokrat*innen einigen können. Es steht für das Versprechen des sozialen Aufstiegs in der sogenannten sozialen Marktwirtschaft (ob die wirklich so sozial ist, lasse ich hier mal offen). Umso schlimmer der Aufschrei, als ein grüner Bezirksamtsleiter aus Hamburg-Nord es wagte, den dortigen Bebauungsplan anzupassen, um mehr Wohnraum zu ermöglichen. Der bis dahin völlig unbekannte Kommunalpolitiker mit dem Namen Michael Werner-Boelz wagte es tatsächlich, mit einer einfachen Maßnahme gleich zwei Probleme anzupacken: Das des unökologischen Flächenfrasses sowie des knappen Wohnraums. 

Statt Einfamilienhäusern sollen dort künftig nur noch Mehrfamilienhäuser neu gebaut werden dürfen. Eigentlich komplett logisch, wenn man sich mal die Bevölkerungsdichte des 315.000 Einwohner*innen starken Bezirks anschaut und diese mit der einer Kleinstadt vergleicht. In meiner Heimatstadt Konz wohnen beispielsweise 412 Personen pro km², in Hamburg-Nord sind es mit 5443 mehr als dreizehnmal so viele! Es ist geradezu wahnsinnig, dass es bis heute überhaupt möglich war, bei den dort steigenden Mietpreisen und der Wohnungsnot mitten in der Stadt noch Einfamilienhäuser zu bauen. Es geht hier also gerade nicht um Verbote, sondern um die Schaffung neuer Wohnmöglichkeiten. Und zwar für Viele, statt für einige Superreiche. Welcher Mensch mit normalem Einkommen kann sich bitte den Bau eines Einfamilienhauses leisten, wenn das Grundstück schon über 700 Euro pro m² kostet?

Der 'kleine Mann' als liberal-konservativer Kronzeuge

Dass der von Liberal-Konservativen immer gern als Kronzeuge herbeigezogene 'kleine Mann' (von kleiner Frau ist ziemlich vielsagend nie die Rede) nichts mit der Realität von Menschen mit kleinen oder normalen Einkommen zu tun hat, ist ja nichts Neues. Der 'kleine Mann' nach FDP- und CDU-Vorstellungen hat nämlich anscheinend genug Kohle auf der hohen Kante, um sich eine Stadtvilla im Herzen von Deutschlands zweitgrößter Stadt bauen zu lassen. 

Mit den finanziellen Möglichkeiten der Mehrheit der Menschen hat dies freilich nichts zu tun. Wie weltfremd und privilegiert müssen Politiker*innen sein, die die Lebensrealität der vielen Bürger*innen, die in Mietwohnungen leben, mit plumpen DDR-Vergleichen verhöhnen? Was sagt es über die Kompetenz der FDP-Bundestagsfraktion aus, dass deren bau- und wohnungspolitischer Sprecher Daniel Föst anscheinend keinen anderen Typ von Mehrfamilienhäusern als "DDR-Plattenbauten" kennt? Und wie arrogant und selbstherrlich ist es eigentlich, die Bewohner*innen dieser Bauten als "eingepfercht" zu stigmatisieren und den Besitz eines Eigenheims als objektiven Gradmesser für individuelles Lebensglück zu stilisieren?

Das Problem mit der Versiegelung

Bei alldem bin ich noch nicht einmal richtig auf die ökologische Sinnhaftigkeit einer solchen Verdichtungsmaßnahme eingegangen. Selbst auf dem Land, wo das eigene Einfamilienhaus auch für Normalverdienende erschwinglich ist, ist es ökologisch betrachtet problematisch. Der die Bundesregierung beratende Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) bilanzierte nicht ohne Grund: "Die Schäden an Natur und Umwelt durch Versiegelung und Zerschneidung sind erheblich und zumeist unumkehrbar." Dies liegt einerseits an der zwangsläufigen Pendelei zur Arbeitsstätte mit dem eigenen Auto, andererseits aber auch daran, dass weniger Fläche für das Versickern von Regenwasser übrig bleibt. Laut Bundesumweltamt erhöht dies nicht nur das Risiko für Überschwemmungen, sondern verhindert auch, dass das aus dem Boden verdunstende Wasser im Sommer zur Kühlung der Luft beitragen könnte. Die Expert*innen des SRU empfehlen daher, ab 2030 netto gar keine Flächen mehr zu versiegeln. Ähnlich hat es auch bereits der Bundesrat und sogar die EU formuliert, die sich aber 20 Jahre mehr Zeit lassen möchte, als der SRU empfiehlt.

Neubaugebiete ohne Sinn und Verstand

Aus eigener Erfahrung weiß ich, was auf dem Land städteplanerisch alles in der Vergangenheit schief gelaufen ist und noch schief läuft. Immer neue Wohnbaugebiete, die immer weiter in die Peripherie rücken, werden erschlossen. Statt dort wenigstens zu großen Teilen eine Bebauung mit Reihenhäusern vorzunehmen, werden in den neuen Vorstädten und Dörfern meist freistehende Häuser gebaut. Statt für fußläufige Einkaufsmöglichkeiten zu sorgen, werden in einigen Kilometern Entfernung autofreundliche Ansammlungen von großen Supermärkten errichtet. Statt günstige und regelmäßige Bus- oder sogar Bahnverbindungen zu planen, werden neue Straßen gebaut, um dem wachsenden Verkehrsaufkommen gerecht zu werden. Und das alles in einer Zeit, in der die Klimakrise bereits voll über uns hereingebrochen ist. Welch ein ideologischer Irrsinn!

Ich selbst habe das Privileg, den Großteil meines Lebens in einem Einfamilienhaus verbracht zu haben und kann vollkommen verstehen, dass ein Eigenheim als erstrebenswert gilt. Gerade als Familie mit Kindern ist ein Haus mit Garten für viele Menschen deutlich attraktiver, als eine Wohnung mit Balkon. Allerdings ist mein Elternhaus bereits vor über 100 Jahren erbaut worden, nicht freistehend und geradezu mustergültig in direkter Reichweite zu mehreren Bahnhöfen sowie Supermärkten und Praxen aller möglichen Ärzt*innen gelegen. Und das Allerwichtigste: Es steht in einer Kleinstadt mit nicht einmal 20.000 Einwohner*innen. Ich würde nie auf die Idee kommen, mir in der benachbarten Großstadt Trier mit einer im Vergleich zu Hamburg-Nord geradezu lächerlichen Bevölkerungsdichte von 939,8 Menschen pro km² ein Einfamilienhaus zu bauen. 

Allerdings bin ich auch kein prinzipieller Gegner des Neubaus von Einfamilienhäusern auf dem Land. Es können ja nicht alle Menschen in Altbauten wohnen. Diese sollten aber zum überwiegenden Teil Reihenhäuser sein, gut an den ÖPNV angebunden werden und eine ausreichende Nahversorgung mit Supermärkten besitzen. Dafür zu sorgen ist keine Aufgabe der Häuslebauer*innen, sondern der lokalen Politik. Um solche Dinge zu regeln, gibt es nun mal Instrumente wie den kommunalen Bebauungsplan.

Selbst Monaco muss verdichten

In urbanen Gebieten wie Hamburg-Nord gibt es bereits einen guten ÖPNV und fußläufige Supermärkte. Darum sollten auch mehr Menschen die Möglichkeit haben, dort zu wohnen – nicht nur einige wenige Reiche. Wer meint, ich würde da eine sozialistische Forderung vertreten (womit ich im Übrigen keinerlei Problem hätte), irrt sich: Selbst der Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen und – in etwas abgeschwächter Form – sogar der Vorsitzende des Grundeigentümer*innen-Verbandes Hamburg fordern, in beliebten Wohngegenden auf Mehr- statt  auf Einfamilienhäuser zu setzen

Wen das immer noch nicht überzeugt: Seit Monaco auf städtebauliche Verdichtung gesetzt hat, ist dort auch noch keine neue DDR entstanden. 

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