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Prävention sollte wichtiger als Repression sein. |
In den letzten Jahren ist um das Thema Organisierte Kriminalität geradezu ein kleiner Hype in Deutschland ausgebrochen. Befeuert durch die jahrelange Präsenz der Abou-Chakers in den (Rap-)Medien, deren Clinch mit ihren ehemaligen Schützlingen (um mal diesen Euphemismus zu benutzen) Kay One und Bushido und Serien wie '4 Blocks' und – der Vollständigkeit halber – 'Dogs of Berlin'. Nicht zu vergessen die Ausschlachtung des Themas durch die BILD-Zeitung mit einem eigenen Podcast und durch den SPIEGEL und SPIEGEL TV. Gerade '4 Blocks' schafft es ziemlich gut, die verschiedenen Aspekte der sogenannten 'Clan-Kriminalität' arabischstämmigen Typs zusammenzufassen.
Die arabischstämmige 'Clan-Kriminalität'
Dass es heute in Berlin, Bremen und NRW arabischstämmige Großfamilien gibt, deren Mitglieder zu einem nach allen Erkenntnissen erheblichen Teil in kriminelle Machenschaften verwickelt sind, hat
seinen Ursprung in einer restriktiven Asylpolitik. Vielen der aus dem Libanon im Zuge des Bürgerkrieges geflüchteten ersten Generation der Familien wurde der Zugang zu Arbeit und Bildung erschwert. Rassistische Ressentiments führten dazu, dass sie sich in Deutschland alles andere als willkommen fühlten. In solch einer Gemengelage zieht man sich in die familiäre Solidargemeinschaft zurück und sucht nach Wegen, Geld zu verdienen. Im Falle der heute als 'Clans' bekannten Großfamilien, entschied man sich für die Kriminalität als Ausweg.
Wichtig zu betonen ist hierbei, dass dies trotzdem nicht heißt, dass alle Mitglieder einer einschlägig bekannten Familie kriminell sind. Das gilt natürlich erst recht für alle, die rein zufällig den gleichen Nachnamen tragen. In einem Rechtsstaat hat immer die Unschuldsvermutung zu gelten! Daher benutze ich den Begriff 'Clan' mangels besserer Alternativen zwar, setze ihn im Text aber in Anführungszeichen.
Der Mythos der 'No-Go-Areas'
Der heutige Diskurs über 'Clan'-Kriminalität ist oft von Schauermärchen über 'No-Go-Areas' bestimmt. Als weißer Deutscher ohne Migrationshintergrund erscheint mir dies allerdings als wenig plausibel. Dies gibt die Kriminalitätsstatistik, die
ein Verfahren wegen Gewaltkriminalität im Jahr 2018 nennt, einfach nicht her. Der Begriff 'No-Go-Area' bedeutet für mich aber, dass in einem Stadtteil die reale Gefahr bestehen muss, dass mich ein Mitglied einer solchen Großfamilie bedroht oder angreift. Dies scheint aber nicht der Fall zu sein. Einzig
der Fall Abdulkadir Osman wäre mir in dem Kontext bekannt.
'Clan'-Strukturen sind in erster Linie ein Problem für die 'Clan'-Mitglieder
Alle relativ homogenen und verschworenen Gemeinschaften bringen ein Problem mit sich: Sie unterdrücken ihre eigenen Mitglieder und unterbinden Kritik an ihren Strukturen und Lehren. Das sieht man in Sekten, fundamentalistischen Zweigen von Religionen sowie in rechtsextremistischen Gruppen und auch in einigen (in diesem Fall ausnahmsweise vollkommen zurecht als extremistisch und antidemokratisch bezeichneten) linken Parteien wie der MLPD oder der DKP.
Am konkreten Beispiel der sogenannten 'Clan-Kriminalität' festgemacht, bedeutet dies eine Orientierung an 'traditionellen' Werten:
Genau wie auch in '4 Blocks' dargestellt, verfügen diese Großfamilien teils über eine eigene Paralleljustiz mit sogenannten "Friedensrichtern" (das generische Maskulinum trifft hier zu). Wie oben bereits erwähnt herrscht in den betreffenden Familien das Bild einer hegemonialen Männlichkeit vor. Im Umkehrschluss bedeutet das die Unterdrückung und Bedrohung von weiblichen Familienmitgliedern sowie die Tabuisierung von Homo- oder Transsexualität, was aus Angst vor Sanktionen faktisch die Selbstverleugnung queerer Angehöriger nach sich zieht. Zusätzlich engt der Druck zur Endogamie die individuellen Entfaltungsmöglichkeiten ein (wenngleich sich dieser wahrscheinlich noch etwas stärker auf Frauen als auf Männer auswirkt).
Wohlgemerkt leiden natürlich auch heterosexuelle Cis-Männer auf einer qualititativ anderen Ebene unter dieser hegemonialen Männlichkeit. Diese zeichnet sich nämlich stets durch eine Triade der Gewalt aus, die nicht nur aus Gewalt gegen Frauen, sondern auch aus Gewalt gegen sich und andere Männer besteht.
Die Opfer außerhalb der Familien
Außerhalb des familiären Kreises ist die 'Clan-Kriminalität' weniger für Justus aus Berlin-Grunewald gefährlich, der am Wochenende mit seinen Freund*innen einen Kopf 'Watermelon Chill' in seiner Lieblings-Shisha-Bar in Neukölln rauchen will, als für Ashraf, den Besitzer der Bar. Dieser ist nämlich ein potentielles Ziel für Schutzgelderpressung durch die 'Clans'.
Aber auch unbedarfte Rentner*innen müssen sich in Acht nehmen. Und zwar weniger davor, in bestimmte Stadtteile zu gehen, sondern davor, am Telefon auf Betrügereien reinzufallen.
Was also konkret tun?
Nun, zuerst einmal ist festhalten, dass das öffentliche Interesse an 'Clan-Kriminalität' im Vergleich zu eigentlich viel folgenschwererer Wirtschafts- und Finanzkriminalität (Stichwort Cum-Ex-Skandal) ungleich höher ist. Auch die in Deutschland vertretenen mächtigen italienischen 'Mafia'-Organisationen erfahren weniger Aufmerksamkeit, als die arabischstämmigen 'Clans'. Das liegt wahrscheinlich an dem deutlich
höheren Unterhaltungswert, den pöbelnde 'Clan'-Chefs liefern.
Trotzdem darf man das Problem nicht herunterspielen und ignorieren. Was also tun? In CDU-Manier reihenweise Razzien in Shisha-Bars machen? Wohl kaum. Bewährt hat sich unter anderem das von der Richterin Kirsten Heisig erfundene '
Neuköllner Modell', um Prozesse gegen womöglich straffällig gewordene Jugendliche zu beschleunigen. Sinn des Ganzen ist, dass diese einerseits schnell die Konsequenzen ihres Verhaltens zu spüren bekommen, andererseits aber auch nicht darunter leiden müssen, dass Verfahren allzu lange wie Damoklesschwerter über ihren Köpfen schweben.
Agieren statt reagieren
Ein anderer Punkt, der präventiv ansetzt und um einiges mehr bringen würde, wäre eine vernünftige Asyl- und Migrationspolitik. Eingewanderte und geflüchtete Menschen sollten schnell einen gesicherten Aufenthaltsstatus bekommen und mit guten Integrationskursen gezeigt bekommen, wie und wo sie sich beispielsweise in Vereinen engagieren können, die ihren Interessen entsprechen, aber ebenso welche Optionen sie auf dem Arbeitsmarkt haben. Dazu braucht es qualifizierte Lehrkräfte und ein psychologisches Hilfsangebot, an das traumatisierte Geflüchtete sich wenden könne.
Das jetzige Angebot an
Integrationskursen ist leider noch nicht optimal, da einerseits zu lange Wartezeiten entstehen und andererseits keine Betreuungsmöglichkeiten für Kinder in das Angebot inkludiert sind. Nur mit Solidarität, Hilfsbereitschaft, aber auch professionellen Hilfsangeboten lässt sich ermöglichen, dass Menschen überhaupt nachhaltig Lust auf unsere Gesellschaft bekommen.
Dies betrifft natürlich nur die neu in unser Land Gekommenen. Wer heutzutage zu einem 'Clan' gehört, ist in vielen Fällen bereits Deutsche*r. Es wird aber höchste Zeit, dass jede*r auf dem Territorium der BRD Geborene automatisch Deutsche*r wird. Die jetzige Praxis sorgt faktisch ab der Geburt dafür, dass einer großen Gruppe von Menschen signalisiert wird, dass sie nicht Teil dieser Gesellschaft ist. In den allermeisten Fällen führt das natürlich nicht zu Kriminalität, doch es ist ein entscheidender Katalysator.
Armutszeugnis Abschiebungen
Um ein Argument zu entkräften, das viele Konservative jetzt wahrscheinlich vorbringen würden, um zu rechtfertigen, dass es immer noch relativ schwer ist, die deutsche Staatsbürger*innenschaft zu bekommen: Nein, '
Ausländer' sind nicht krimineller als 'Deutsche'. Daher braucht es auch keine Zweiklassengesellschaft, in der die eine Gruppe von Straftäter*innen in heimische Gefängnisse wandert, während man die andere Gruppe unter Umständen in Länder abschiebt, die sie noch nie gesehen hat.
Abschiebungen sind also purer Unsinn! Was ist das bitte für ein Armutszeugnis, dass eines der reichsten Länder der Welt Menschen abschiebt? Selbst bei verurteilten Straftäter*innen ergibt das wenig Sinn. Einerseits weigern sich viele Staaten, sowieso diese einreisen zu lassen. Andererseits erschließt es sich mir nicht, wieso gerade Deutschland nicht die Kapazitäten haben sollte, diese Menschen zu bestrafen und anschließend zu resozialisieren (oder das zumindest zu versuchen). Abschiebungen sind nichts anderes als die Kapitulation unseres Rechtsstaates.
Fazit
Aus linker Perspektive darf man das Phänomen 'Clan-Kriminalität' auf keinen Fall als Boulevard-Kampagne abtun. Eine differenzierte Kritik ist äußerst notwendig. Diese darf aber auf keinen Fall in einem künstlichen Dualismus aus 'guten Deutschen' und 'bösen Ausländern' münden. 'Clan'-Mitglieder sind nicht nur Täter*innen, sondern auch Opfer der eigenen Strukturen und – in einem weiteren Sinne – der deutschen Politik, die sich jahrzehntelang weigerte, anzuerkennen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist.
Dies darf aber nicht als Rechtfertigung für heutiges Handeln verstanden werden. Es gibt keine legitimen Gründe zur Tolerierung der Ungleichbehandlung von Menschen.
PR-Aktionen mit abgeschleppten Lamborghinis helfen hier allerdings nicht weiter. Auch der
Nutzen von großangelegten und personalintensiven Razzien ist fragwürdig Viel eher lässt sich Kriminalität durch Chancengerechtigkeit, die Stärkung von Sozialarbeit und Bildung klein halten. Und zur Bekämpfung der trotzdem existierenden Kriminalität braucht man kluge Beamt*innen in den Sicherheitsbehörden, die auf beispielsweise die Erfahrungen der italienischen Kolleg*innen im Kampf gegen die dortigen Strukturen zurückzugreifen bereit sind.
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