Schafft den Religionsunterricht ab!


Vielerorts gibt es allein christlichen Religionsunterricht.

Wieso gibt es im 21. Jahrhundert an staatlichen Schulen eigentlich noch Religionsunterricht? Die vordergründigste Antwort darauf gibt das Grundgesetz in Artikel  7, Absatz 3:

"Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen."

Nun ist nicht weiter verwunderlich, dass die Väter und Mütter des Grundgesetzes 1949 die Festschreibung des Religionsunterrichts in der Verfassung für richtig befanden. Seitdem sind aber bereits einige Jahre ins Land gezogen, was die Frage nach dem Ist-Zustand in den einzelnen Bundesländern aufwirft. Aufgrund der aktuellen Debatte um die Einrichtung von Islam-Unterricht an rheinland-pfälzischen Schulen, will ich mich in diesem Artikel kritisch mit dem Konzept des Religionsunterrichts auseinandersetzen. Da ich in Rheinland-Pfalz einen Kindergarten und eine Grundschule in katholischer Trägerschaft besucht und an einem staatlichen Gymnasium mein Abitur gemacht habe, handelt der Artikel speziell von der dortigen Situation.

So ist der Religionsunterricht in Rheinland-Pfalz geregelt

Öffentliche Grund-, Haupt- und Sonderschulen müssen laut Verfassung christlich sein

Artikel 28 der Landesverfassung besagt:

"Der Ausbildung der Jugend dienen öffentliche und private Schulen. Bei Einrichtung öffentlicher Schulen wirken Land und Gemeinden zusammen. Auch die Kirchen und Religionsgemeinschaften werden als Bildungsträger anerkannt."

Und Artikel 29 schreibt fest:

"Die öffentlichen Grund-, Haupt- und Sonderschulen sind christliche Gemeinschaftsschulen."

Bei Artikel 34 handelt es sich um eine Spezifizierung der im Grundgesetz getroffenen Regelung:

"Der Religionsunterricht ist an allen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Privatschulen ordentliches Lehrfach. Er wird erteilt im Auftrag und in Übereinstimmung mit den Lehren und Satzungen der betreffenden Kirche oder Religionsgemeinschaft. Lehrplan und Lehrbücher für den Religionsunterricht sind im Einvernehmen mit der betreffenden Kirche oder Religionsgemeinschaft zu bestimmen. Kein Lehrer kann gezwungen oder daran gehindert werden, Religionsunterricht zu erteilen. Zur Erteilung des Religionsunterrichtes bedürfen die Lehrer der Bevollmächtigung durch die Kirchen oder Religionsgemeinschaften. Die Kirchen und Religionsgemeinschaften haben das Recht, im Benehmen mit der staatlichen Aufsichtsbehörde den Religionsunterricht zu beaufsichtigen und Einsicht in seine Erteilung zu nehmen."

Nun sind die Hauptschulen zugunsten des Konzepts der Realschule Plus in Rheinland-Pfalz schon seit Jahren abgeschafft. Jedoch bleiben mit den öffentlichen Grund- und Sonderschulen noch zwei Schulformen übrig, die als explizit christlich in der Landesverfassung verankert sind. Wenn man bedenkt, dass wir bewusst keine Staatsreligion haben, ist diese Tatsache höchst befremdlich. Die im Grundgesetz erwähnten "bekenntnisfreien Schulen" gibt es im Bereich der Grundschulen in Rheinland-Pfalz nicht.

Dies führt uns direkt zum nächsten Problem: Mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen (die in Artikel 34 plötzlich pauschal als "Privatschulen" definiert werden) ist die Einrichtung von Religionsunterricht an allen Schulen festgeschrieben. Damit sind auch die nicht per Verfassung als christlich definierten weiterführenden Schulen dazu verpflichtet, diesen anzubieten. Den Kirchen und Religionsgemeinschaften werden außerdem weitreichende Rechte zugebilligt. So darf kein*e Lehrer*in ohne ihre Bevollmächtigung Religionsunterricht erteilen und sie dürfen diesen sogar beaufsichtigen.

Die Landesschülervertretung Rheinland-Pfalz sah diese Probleme auch und forderte bereits 2019, dass die Landesverfassung geändert werden solle. Grund- und Sonderschulen sollten nicht mehr per Verfassung automatisch "christliche Gemeinschaftsschulen" sein und der Religionsunterricht abgeschafft werden. Das SPD-geführte Bildungsministerium irritierte daraufhin mit zwei faktisch falschen Aussagen. Zum einen mit der Behauptung, für die Änderung der Landesverfassung sei eine Grundgesetzänderung notwendig und zum anderen, dass bekenntnisfreie Schulen nach dem Grundgesetz eine Ausnahme darstellen sollten. Wäre diese Begründung nicht sowieso schon haarsträubend genug, könnte man entgegnen, dass es bekenntnisfreie Schulen in Rheinland-Pfalz ja noch nicht einmal als Ausnahme gibt. Das Grundgesetz trifft aber sowieso (siehe oben) lediglich die Aussage, dass der Religionsunterricht in "den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach" ist und nicht, dass bekenntnisfreie Schulen die Ausnahme zu sein haben.

Die Sozialdemokrat*innen könnten sich was ihre Nibelungentreue zu den Kirchen angeht also problemlos mit den Christdemokrat*innen zusammenschließen. Grüne und Liberale hingegen verstecken sich ganz vor der unliebsamen Problematik und wollen im eher konservativen und ländlichen Rheinland-Pfalz anscheinend keine Wähler*innen vergraulen. Auch der bereits aus dem Jahr 2015 stammende Beschluss der Grünen Jugend Rheinland-Pfalz zur Stärkung des Ethikunterrichts ist tunlichst darauf bedacht, bloß keine Konfrontation mit den Kirchen und Religionsvertreter*innen zu riskieren. Ansonsten geht er aber immerhin in die richtige Richtung.

Das den Schüler*innen laut Verfassung zu vermittelnde Wertefundament ist höchst fragwürdig.

In Artikel 33 wird festgelegt, welche Werte den Schüler*innen vermittelt werden sollen:

"Die Schule hat die Jugend zur Gottesfurcht und Nächstenliebe, Achtung und Duldsamkeit, Rechtlichkeit und Wahrhaftigkeit, zur Liebe zu Volk und Heimat, zum Verantwortungsbewusstsein für Natur und Umwelt, zu sittlicher Haltung und beruflicher Tüchtigkeit und in freier, demokratischer Gesinnung im Geiste der Völkerversöhnung zu erziehen."

Bei diesen Zeilen kann einem nur ein kalter Schauer über den Rücken laufen. Die einzigen aus meiner Sicht zu befürwortenden Aspekte in diesem Artikel sind die "Nächstenliebe", das "Verantwortungsbewusstsein für Natur und Umwelt" und die "freie[], demokratische[] Gesinnung im Geiste der Völkerversöhnung". Den Rest des Inhalts sollte man am besten in die Kiste mit Ur-Opas Pickelhaube und Militärorden packen und am besten so tief in der Erde vergraben, dass er nie wieder ans Tageslicht kommt.

Ein angeblich weltanschaulich neutraler Staat darf nicht per Verfassung den Glauben an Gott vorschreiben. Und schon gar nicht die Furcht vor diesem. Das ist eine Diskriminierung aller Atheist*innen und Agnostiker*innen per Verfassungsrang!

Auch die "Liebe zu Volk und Heimat" ist nichts, was in einem aufgeklärten Staat Inhalt einer schulischen Ausbildung sein sollte. Sieht man mal von der riesigen Problematik der beiden Begriffe ab, klingt hier wenig subtil durch, dass eine kritische Reflexion über die eigene Herkunft – zumindest laut Verfassung – nicht gewollt ist.

Die Reise in das Wertefundament der 1940er geht dann noch mit "Duldsamkeit", "sittlicher Haltung und beruflicher Tüchtigkeit" weiter. Da klingt sehr viel Obrigkeitsdenken mit, welches in Deutschland ja leider immer schon Hochkonjunktur hatte. Was genau sollen die Schüler*innen denn dulden? Nach welchen Sitten sollen sie sich benehmen und wer bestimmt über deren Angemessenheit? Worin genau besteht diese Tüchtigkeit, die man im Beruf zeigen sollen? Im Nicht-Wahrnehmen von Arbeitnehmer*innenrechten? In freiwilligen unbezahlten Überstunden? Nicht gerade die Werte, die man heute noch propagieren sollte...

Es geht ums Prinzip!

Mir ist klar, dass diese Verfassungsartikel im Schulalltag wenig Bedeutung haben. Wie oben erklärt habe ich einen katholischen Kindergarten und eine katholische Grundschule besucht und bin vor religiöser Indoktrination weitestgehend verschont geblieben (sieht man mal von den paar Malen ab, als ich trotz meiner Konfessionslosigkeit mit den katholischen Kindern Gottesdienstlieder einüben und den Kindergottesdienst in der örtlichen Kirche während der Schulzeit mitbesuchen musste). Mit dem Ethik-Unterricht gab es die Möglichkeit, eine weltanschaulich-neutrale Alternative zum Religionsunterricht zu wählen. Okay, so ganz stimmt das auch nicht, denn unter 14 Jahren durften die Eltern bestimmen, ob ihr Kind evangelischen oder katholischen Religionsunterricht oder eben den Ethik-Unterricht besuchen muss.

Religionsfreiheit bedeutet für mich in der Theorie allerdings, dass Kinder selbst die Wahl haben müssen, ob sie komplett frei von Religion aufwachsen, oder sich einer anderen Religion als der ihrer Eltern widmen wollen. In der Praxis kann und sollte man Eltern natürlich nicht verbieten, dass sie ihre Kinder in ihrem Glauben aufziehen. Daher wäre meiner Meinung nach die Schule der Ort, an dem Kinder aller Glaubensrichtungen in einem gemeinsamen Ethik-Unterricht ein humanistisches Wertefundament vermittelt bekommen sollten. In diesem ist zudem Platz, um sich mit allen Religionen kritisch auseinanderzusetzen und den Kindern Alternativen zu den Religionen ihrer Elternhäuser aufzuzeigen. Gerade in unseren Zeiten, in denen die Spaltung der Gesellschaft zunimmt, sollte der Ethik-Unterricht seinen Ruf als ungeliebtes Stiefkind überwinden. Denn zumindest in meiner Schulzeit galt Ethik als eines der Fächer, in denen man getrost die Hausaufgaben ignorieren konnte. Im Bunde mit den anderen oft despektierlich als "Laberfächer" bezeichneten Fächern Geschichte, Deutsch und Politik (oder Sozialkunde wie es in Rheinland-Pfalz heißt) kann der Ethik-Unterricht seinen Beitrag leisten, um die Kinder zu mündigen und kritischen Demokrat*innen zu erziehen, die später nicht unreflektiert irgendwelchen Rechtsextremist*innen oder religiösen Fanatiker*innen hinterherrennen.

An den meisten Schulen gibt es nur christlichen Religionsunterricht

Ein gemeinsamer Ethik-Unterricht würde zudem für mehr Gerechtigkeit sorgen. An meiner Grundschule und an meinem Gymnasium gab es mit dem evangelischen und dem katholischen Religionsunterricht gleich zwei christliche Fächer, allerdings keines für Muslim*innen oder Jüd*innen. Die Liste der nicht berücksichtigten Religionen ließe sich bis ins Unendliche weiterführen. Es ist utopisch zu denken, dass es möglich wäre, wirklich allen Glaubensrichtungen entsprechende Fächer an den Schulen einzurichten. Vor allem, da dies laut Landesverfassung nur "im Einvernehmen mit der betreffenden Kirche oder Religionsgemeinschaft" erfolgen kann. Viele Religionen haben aber keinen so hohen Organisationsgrad wie die christlichen Kirchen und sind in viele kleine Vereine aufgeteilt. 

Das sozialdemokratische Kultusministerium führt uns gerade exemplarisch alle Fehler vor, die man bei der Öffnung des Religionsunterrichtes für weitere Religionen machen kann. Wer darüber mehr erfahren möchte, sollte die von mir verfasste Pressemitteilung der Grünen Jugend Trier-Saarburg zur Zielvereinbarung des Landes mit den islamischen Verbänden lesen. Wirkliche Gleichberechtigung aller Religionen kann in der Praxis daher nur mittels der Abschaffung allen Religionsunterrichtes zugunsten eines interkonfessionellen Ethik-Unterrichtes geschaffen werden. Für Nicht-Christ*innen ist dieser sowieso schon längst Realität.

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