Demokratische Wachsamkeit in der Corona-Krise

Das Bundesverfassungsgericht. 
Quelle: Bundesarchiv, B 145 Bild-F080597-0004 / Reineke, Engelbert / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5472829


Schaut man sich Kommentare und Posts in den sozialen Netzwerken momentan an, hat man den Eindruck, dass wirklich alle den Ernst der Lage begriffen haben (mit Ausnahme Leon Lovelocks und Wolfgang Wodargs). Unisono werden Ausgangssperren gefordert, die von starken Politiker*innen im Hauruck-Verfahren durchgesetzt werden sollen. Wer bei seinem Gang zum Supermarkt einer Gruppe Menschen begegnet, die die ersten Sonnenstrahlen des herannahenden Frühlings genießen, stellt diese umgehend an den Online-Pranger und kann sich seines Applauses ziemlich sicher sein. Das ist im Ansatz auch gar nicht falsch, sorgt es doch dafür, dass die sozialen Kosten für ein solches Fehlverhalten zunehmen und es unattraktiver machen.

Das Asylrecht darf nicht ausgesetzt werden

Allerdings müssen wir darauf Acht geben, dass wir unsere aufgegebenen Freiheiten und Grundrechte nach der überstandenen Pandemie wieder aktiv für uns und andere zurückfordern. Das wird beispielsweise bei der Schulpflicht leichter sein, als bei der faktischen Wiederinkraftsetzung des Asylrechts. Unter dem Deckmantel des Infektionsschutzes wird den Geflüchteten auf der Insel Lesbos nämlich gerade in diesem Moment, in dem die meisten von uns gelangweilt aber sicher auf ihren Sofas sitzen, die Möglichkeit einen Asylantrag in Deutschland zu stellen, genommen. Asyl ist ein Grundrecht, welches umso wichtiger ist, wenn 40.000 Menschen auf den griechischen Inseln in engen und unhygienischen Lagern ohne ausreichende medizinische Versorgung darauf warten müssen, dass das Virus auch bei ihnen seinen grausamen Lauf nimmt.

Zunehmende Autorität als Gefahr des demokratischen Diskurses

Auch der freie Meinungsaustausch als Prozess der politischen Entscheidungsfindung könnte einen langfristigen Schaden davontragen, gibt es doch eine für pluralistische Demokratien erstaunliche Einigkeit in der Gesellschaft, dass der Staat mittels einer Ausgangssperre unsere Freiheiten noch weiter beschneiden soll. Und das obwohl die Straßen bereits jetzt weitestgehend leer sind und Südkorea beweist, wie man auch ohne Ausgangssperre erfolgreich gegen das Virus kämpfen kann. Jürgen Kasek, Rechtsanwalt und ehemaliger Vorsitzender der sächsischen Grünen, schrieb in einem Facebook-Post:
Selbst der Virologe Prof. Dr. Drosten mahnte unlängst, dass wir den politischen Entscheidungsträger*innen die Zeit lassen sollten, sich ausreichend über die Sinnhaftigkeit solch gravierender Eingriffe zu beratschlagen. Auch wenn man viel am Umgang Angela Merkels mit der Krise kritisieren kann, so war es doch richtig, dass sie in ihrer Fernsehansprache an die Vernunft der Menschen appelliert hat, es gar nicht erst zu Ausgangssperren kommen zu lassen und aus eigenem Anrieb zuhause zu bleiben.

Datenschutz in Zeiten der Seuche

Mit Blick auf die oben genannten Erfolge Südkoreas ist einschränkend zu erwähnen, dass dort zwar keine Ausgangssperren verhängt, dafür allerdings massenhaft Handydaten der Bevölkerung herangezogen wurden. Das Robert-Koch-Institut wertet auch bereits von der Telekom zur Verfügung gestellte Handydaten aus. Diese sind aber im Gegensatz zum Vorgehen Südkoreas anonymisiert und nicht dazu geeignet, Bewegungen einzelner Personen nachzuverfolgen. Die linke Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg warnt davor, ein solch großangelegtes Tracking einzelner Personen auch in Deutschland zu starten, da dies "ein tiefer Einschnitt in den Datenschutz und die Privatheit" sei, der noch dazu wenig bringe. Stattdessen plädiert sie für von den Gesundheitsämtern erstellte "Corona-Ampeln".

Kunst- und Kultur sind wichtige Elemente der Zivilgesellschaft

Da gerade die Kunst- und Kulturbranche immense Einnahmenausfälle durch den Wegfall allerlei Veranstaltungen erleidet, kann es dazu kommen, dass viele kleine Medien und freiberufliche Schriftsteller*innen und Künstler*innen für längere Zeit als wichtiges Korrektiv gesellschaftlicher und politischer Diskurse wegfallen. Gerade diese liefern normalerweise relevante Impulse für die Zivilgesellschaft, um sich gegen autoritäre Tendenzen zur Wehr setzen zu können. Die gemeinnützige Gesellschaft für Freiheitsrechte hat beispielsweise kürzlich ein FAQ zu Grundrechten in Zeiten der Pandemie herausgegeben. Ob diese Entwicklung aufzuhalten sein wird, ist leider fraglich...

Alle Maßnahmen müssen zeitlich begrenzt sein

Niemand von uns hat vorher eine Pandemie mit solch globalen Ausmaßen erlebt. Deswegen ist es verständlich, dass wir temporär Teile unserer Freiheit opfern müssen, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Jede grundrechtsbeschneidende Maßnahme muss zeitlich begrenzt sein und nach Ablauf dieser Frist erneut beschlossen werden – unter Mitsprache des jeweils zuständigen Parlaments. Tatsächlich erleben wir momentan ein sehr besonnenes und vernünftiges Vorgehen der verantwortlichen Regierungen in Bund und Ländern. Mit Blick auf das Handeln von Regierungen anderer Demokratien in der Corona-Krise sollten wir allerdings wachsam bleiben. Demokratische Wachsamkeit und (internationale) Solidarität sind die Tugenden der Stunde.

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